Soziale Netzwerke: Eine Gefahr für die Demokratie?

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Technology Review führen Simon Hegelich (Prof. für politische Datenwissenschaften an der TU München) und Sascha Hölig (Senior Researcher am Hans-Bredow-Institut) ein Streitgespräch darüber, wie Facebook & Co. in Deutschland die politische Landschaft verändern. Die Concept Map fasst die wichtigsten Resultate zusammen:

Im Fokus des Gesprächs steht, neben der Emotionalisierung, die Polarisierung (in Form so genannter „Echokammern“ oder „Filterblasen“). Hegelich: „Ich würde nicht […] von Filterblasen sprechen. Es sind nicht einfach nur Algorithmen, die einen dazu bringen, dass man nichts mehr mitkriegt, sondern auch das eigene Verhalten. Das Bild der Echokammer gibt [das] gut wieder.“

Dafür, dass das Phänomen der Polarisierung tatsächlich existiert, gibt es empirische Belege. Hegelich: „[W]ir [messen], wie lange eine Information braucht, um von A nach B zu kommen. Wir haben festgestellt: Im rechten Cluster in der Flüchtlingsdebatte brauchen die Informationen viel, viel weniger Zeit, um von einem Punkt zum anderen zu kommen. […] Aber von einem Cluster ins andere brauchen Informationen extrem lang.“

Uneins (= gekreuzte Klingen auf der Concept Map) sind sich die beiden Forscher darüber, wie stark soziale Netzwerke in Deutschland im Vergleich zu den etablierten Medien sind. Hölig: „[S]ie überschätzen die Rolle sozialer Netzwerke. Menschen bewegen sich nicht ausschließlich dort. Auch traditioneller Journalismus spielt noch eine Rolle.“ Hegelich: „Aber nur solange es diese Medien noch gibt (…) [W]er hindert Facebook darain, einfach mal die komplette Verlagslandschaft aufzukaufen und zu sagen: Jetzt machen wir die Nachrichten?“

Blau eingezeichnet sind Punkte, die man als wesentlich für das Funktionieren einer Demokratie erachten könnte. Die Punkte betreffen einerseits das ‚Wie‘ der Kommunikation, aber auch das ‚Wer‘ in Bezug auf politische Akteure.

  • Echokammern haben zur Folge: „‘Ich suche mir nur Leute, die schon meine Meinung haben‘“. Doch Politik funktioniert nicht ohne Diskurs und Diskussion.“ (Hegelich)
  • Emotionalisierung: „Dass Lindner Thermomix verkaufen könnte, ist eine größere Meldung als die Frage, wofür die FDP eigentlich inhaltlich steht.“ (Hegelich). Mit anderen Worten: Zu starke Emotionalisierung verhindert die sachgerechte Priorisierung und Beurteilung von Informationen.
  • Hölig: „Wir sehen, dass die politischen Ränder, sowohl rechts als auch links, im Internet deutlich aktiver sind als die politische Mitte.“ (Darüber, ob  stärkere Aktivität an den politschen Extremen der Demokratie abträglich ist, könnte man sich allerdings streiten.)
  • Hegelich: „Facebook hat 2012 mit einem Experiment gezeigt: Wenn man Leuten anzeigt, dass man selber wählt, hat das einen mobilisierenden Effekt auf die Facebook-Freunde.“ Und die haben vermutlich die gleiche politische Gesinnung.
  • Hegelich: „Freundschaft, Familie, politische Gesinnung – welcher dieser […. ] Begriff ist heute noch der gleiche wie vor zehn Jahren? [… ] Professionelle Netzwerke sind nicht mehr dasselbe. Politische Gesinnung ist nicht mehr dasselbe. Die Grundlagen der Gesellschaft geraten ins Schwimmen.“

Somit sind die Wirkungswege aufzeigt, auf denen soziale Netzwerke einen Effekt auf die Demokratie haben könnten. Ob diese Effekte tatsächlich auftreten, lässt sich jedoch nicht für alle der beschriebenen Kanäle präzise beschreiben oder prognostizieren. Ungewiss (= Fragezeichen) ist, wie sich Informationskonsum auf die politische Meinung und das Wahlverhalten auswirkt. Hegelich: „Alle Studien, die man findet, sagen, dass es nicht leicht ist, Leute in ihrer politischen Meinung umzudrehen.“ Hölig: „Änderungen im Wahlverhalten sind ein langer, komplexer Weg. Es funktioniert nicht so, dass ich diesen Menschen meine Inhalte zuspiele, und plötzlich habe ich sie auf meiner Seite.“

Ungewiss ist ferner, ob die neuerlich zu beobachtende Volatiltiät des Wählerwillens mit den sozialen Netzwerken zusammen hängt. Hegelich: „Die SPD legt etwa von einem Tag auf den anderen zehn Prozent in den Umfragen zu. Ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute, dass das mit sozialen Medien zusammenhängt. Zudem haben wir plötzlich erstmals eine rechtsradikale Partei im Bundestag. Und es ist die mit Abstand erfolgreichste Partei in den sozialen Netzwerken.“