Problemstrukturierung: Vorschlag-Effekte-Ziele

Für die Auftaktveranstaltung wollten wir den Sachstand rund um das Thema Keimbahntherapie in möglichst gebündelter Form vorstellen. Dabei war uns wichtig, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Entscheidung darüber zu überlassen, welche weiteren Informationen sie benötigten, um zu eigenen Einschätzungen und Handlungsempfehlungen zu gelangen. Die Darstellung der biotechnologischen Details der Keimbahntherapie sollte bei der Präsentation auf der Auftaktveranstaltung zunächst in den Hintergrund treten, da diese Details für die ethische, rechtliche und gesellschaftliche Bewertung der Technologie keine unmittelbare Rolle spielen.

Um – mit diesen Vorgaben im Hinterkopf – den Sachstand zu strukturieren, haben wir zwei verschiedene Schemata verwendet. Diese Schemata haben wir wie Filter benutzt, um aus Fachliteratur und Publikumsmedien die für den ersten Schritt wichtigsten Informationen herauszulesen. Die beiden Strukturierungsmethoden sind die aus dem Journalismus bekannten W-Fragen sowie ein Schema zur Überprüfung von Handlungsvorschlägen.

Schema zur Überprüfung von Handlungsvorschlägen

Die erste Methode lehnt sich an eine Methode an, die aus der Argumentationstheorie stammt [note] In der Argumentationstheorie ist die Methode unter dem Begriff „Argument Scheme for Practical Reasoning“ bekannt [/note]. Der ursprünglich vorgesehen Zweck des Schemas ist es, kritische Nachdenkfragen (Critical Thinking Questions) zu definieren. Diese Nachdenkfragen, so die Idee, müssen komplett beantwortet werden, damit ein Handlungsvorschlag nach den Kriterien einer reflektieren Alltagslogik als gut begründet gelten kann. In Abweichung zur ursprünglich vorgesehenen Verwendung haben wir bei Buedeka das Schema vor allem zur Problemstrukturierung verwendet. Kritische Nachdenkfragen können daran anschließen, müssen aber nicht. [note] Nachdenkfragen sind ein Kernelement des sogenannten Critical Thinking. Critical Thinking ist ein vor allem im angelsächsischen Raum verbreiteter Ansatz zur Vermittlung fachübergreifender Kompetenzen in den Bereichen logisches Verständnis und argumentatives Schreiben, der an Schulen und Universitäten gelehrt wird. Für weiterführende Informationen: http://philosophy.hku.hk/think/critical/ct.php).[/note]

Grundgedanke

Jeder konkrete Handlungsvorschlag kann mit Hilfe eines allgemeinen Schlüssels interpretiert werden. Der Schlüssel leitet dazu an, den Handlungsvorschlag in ein Set von Kernthesen zu zerlegen, die sich bewahrheiten müssen, damit der Vorschlag als gut begründet gelten kann. Der Analyseschlüssel fokussiert auf die Begriffe Handlung, Effekte, und Ziele. Die drei Begriffe hängen in Form einer sogenannten praktischen Folgerung zusammen:

  • Es gibt eine Handlungsoption (eine Idee oder einen Hebel, mit dem steuernd ins System eingegriffen werden kann).
  • Die Realisierung der Handlungsoption hat bestimmte (erwünschte) Effekte.
  • Diese Effekte dienen der Realisierung oder Unterstützung meiner Ziele (Werte).
  • Konklusion: Deshalb sollte ich die Handlung ausführen.

Abb. 1: Die bei der Problemstrukturierung mit Hilfe des Schemas zur Überprüfung von Handlungsvorschlägen verwendeten Grundkategorien

 

Die kritischen Nachdenkfragen, anhand derer sich der Handlungsvorschlag überprüfen lässt, sind:

  1. Gibt es andere legitime Ziele, die mit den genannten Zielen in Konflikt stehen?
  2. Führt die Handlung tatsächlich zum Ziel? (Bringt die Handlung tatsächlich die behaupteten Effekte hervor? Unterstützen diese Ziele tatsächlich die Handlung?)
  3. Welche alternativen Handlungen gibt es, die den genannten Zielen gleichermaßen gerecht werden? (Und wie schneiden diese mit Blick auf Effekte und die Unterstützung der Ziele ab?)
  4. Was spricht dafür, dass sich die geplante Handlung überhaupt realisieren lässt?
  5. Wie wirken sich Nebeneffekte, die durch die geplante Handlung hervorgebracht werden, in Bezug auf die Realisierung oder Unterstützung des erklärten Zieles (oder weiterer legitimer Ziele) aus?

Abb. 2: Überprüfung eines Handlungsvorschlags mit Hilfe von kritischen Nachdenkfragen. Berücksichtigt werden: alternative Handlungsoptionen, Effekte und Nebeneffekte sowie mögliche Zielkonflikte. Das Symbol der gekreuzten Schwerter steht dafür, dass in dem Beispiel die Behauptung „Effekt B unterstützt Ziel A“ kontrovers diskutiert wird.

Für die Strukturierung des Sachstandes zum Thema Keimbahntherapie ergibt sich, wenn man das Schema zugrunde legt, folgendes Bild:

Handlungsoptionen

  • Weitere Schritte in Richtung Keimbahntherapie (hieße konkret: Lockerung des Embryonenschutze zur Ermöglichung von Forschung; Erarbeitung einer Regulierung, damit die Durchführung etwaiger klinischer Studien [=Versuche am Menschen] überhaupt erst in den Bereich des Möglichen rückt)
  • Präimplantationsdiagnostik PID (Selektion vom Embryonen im Zuge einer künstlichen Befruchtung)
  • Somatische Gentherapie
  • Adoption
  • (…)

Effekte (und Nebeneffekte):

  • Gezielte Reparaturen des Erbgutes (bei X Prozent der behandelten Embryonen)
  • Off-Target-Effekte u. andere unerwünschte Nebeneffekte
  • (Schiefe Bahn Richtung) Eugenik/Enhancement
  • Soziale Ungleichheit/Diskriminierung
  • Risiken für künftige Generationen
  • Informierte Einwilligung der im Embryonenstadium durch KBT behandelten Patienten nicht möglich
  • Nutzung/Selektion menschlicher Embryonen
  • (…)

Ziele:

  • Gesundheit/Lebensqualität
    • Verhinderung von monogentischen Erkrankungen wie z. B. zystische Fibrose oder Herzmuskelschwäche
  • Soziale Gerechtigkeit
  • Selbstbestimmung
  • Menschenwürde (Embryonenschutz)
  • (…)

Die auf diese Weise abgerufenen Informationen entsprechen in etwa den Inhalten, die in der inhaltlichen Kurzeinführung (Fragen & Antworten mit Sascha Karberg) zum Thema Keimbahntherapie präsentiert wurden. Das Ergebnis war eine Sammlung von Einträgen unter den Überschriften Handlungsoptionen, Effekte (und Nebeneffekte) und Ziele, die ein möglichst vollständiges, zugleich aber auch auf die wesentlichen Aspekte beschränktes Bild der Phänomene generiert, die es in Bezug auf die Entscheidung für oder gegen weiter Schritte in Richtung KBT zu beachten gilt.

Wandbild

Bei einer idealtypischen Diskussion anhand der so vorgenommenen Sammlung von Einträgen hätte man als nächsten Schritt Behauptungen (Hypothesen) gebildet, die die Einträge aufeinander beziehen, und diese überprüft. Beispiele:

„Die Keimbahntherapie [Handlungsoption] führt bei einem ausreichend hohen Prozentsatz der behandelten Embryonen zu einer gezielten Reparatur des Erbgutes [Effekt] und dient deshalb dazu, z.b. eine erblich bedingte Herzmuskelschwäche bereits bei der Zeugung des Menschen zu therapieren [Ziel].“

„Die KBT (Handlungsoption) verletzt die informierte Einwilligung (Effekt) der Personen, an denen sie (im Embryonalstadium) durchgeführt wird. Anders die Präimplantationsdiagnostik PID (Handlungsoption). Diese führt, ähnlich wie die KBT, durch die Selektion von Embryonen (Effekt) dazu, dass erblich bedingte Krankheiten bereits bei der Zeugung des Menschen verhindert werden. Anders als die KBT hat die PID jedoch nicht den unerwünschten Nebeneffekt, dass die informierte Einwilligung verletzt wird (Effekt).“

W-Fragen

Ergänzend zum Schema zur Überprüfung von Handlungsvorschlägen wurde das Schema der W-Fragen verwendet. Hier ging es darum, Hintergrundinformationen und Orientierungswissen in Bezug auf die Beurteilung der KBT abzurufen und einzuordnen, die sich in das Handlungsvorschläge-Schema schlecht integrieren ließen. Klassische W-Fragen sind Wer?, Was?, Wo?, Wie?, Wann? und Warum? Auf der Buedeka-Auftaktveranstaltung haben wir uns auf die Fragen Wer?, Was & wie? und Wann? fokussiert.