Stellen Sie sich vor, Sie wären die Bundesregierung, und müssten entscheiden, ob Sie eine Kaufprämie für Elektroautos einführen. Sie laden Experten zu einer Anhörung ein. Es zeigt sich, dass die Experten sehr unterschiedliche Ansichten vertreten, ob eine Kaufprämie sinnvoll ist. Das macht die Entscheidung schwer.
Ein erster Schritt, der sich in Situationen wie dieser anbietet, ist, eine Liste mit den wichtigsten Argumenten pro und kontra Kaufprämie zu erstellen. Das wichtigste Argument für die Kaufprämie lautet: Elektro-PKWs scheinen langfristig die beste Lösung für eine umweltfreundliche Mobilität zu sein. Das wichtigste Argument dagegen: Es gibt Zweifel an der Umweltverträglichkeit von Batterien, die in E-Autos zum Einsatz kommen.
Was die Gegenüberstellung von Pro- und Kontra-Argumenten nicht leistet, ist:
- Die Liste gibt keine Antwort darauf, ob die Tatsachenannahmen, die vorgebracht werden, wahr oder falsch sind.
- Sie enthält keine Anhaltspunkte, anhand welcher Kriterien die finale Entscheidung getroffen werden sollte
- Sie gibt keine Auskunft darüber, wie stark einzelne Gesichtspunkte gewichtet werden sollen.
Einflussdiagramm
Oft bietet es sich an, als erste Problemstrukturierung, die über eine Auflistung von Pros und Kontras hinausgeht, den Sachverhalt in Form eines Einflussdiagrammes darzustellen. Bei der Bestandsaufnahme der Überlegungen zur Kaufprämie ergibt sich folgendes Bild:
Resultat: Es gibt zwei wichtige Effekte, die sich auf die Umweltbilanz auswirken. Eine Reduzierung des gesamten CO2-Verbrauchs von PKWs auf deutschen Straßen bewirkt eine Verbesserung der Umweltbilanz. Der vermehrte Einsatz von Batterietechnologie, auf der anderen Seite, der mit E-PKWs einhergeht, macht sich in der Umweltbilanz negativ bemerkbar. Das System kann vor allem an zwei Eingriffspunkten von außen gesteuert werden: durch eine Kaufprämie für Elektro-PKWs sowie durch andere Politikmaßnahmen, die sich direkt auf den Sprit- und somit CO2-Verbrauch der auf den Straßen befindlichen PKW-Flotte auswirken. Eingriffspunkte von außen sowie angestrebte Resultate treten im Einflussdiagramm deutlicher hervor als in der Pro- und Kontra-Darstellungen.
Die so erfolgte erste Problemstrukturierung ist die Ausgangsbasis für die weiteren Schritte der Entscheidungsanalyse: die Detailrekonstruktion von Argumenten (Argument Mapping) und die Multi-Kriterien-Analyse.
Argument Mapping
Argument Mapping ist eine Form der hypothesengeleiteten Problemstrukturierung. Beim Argument Mapping werden einzelne Thesen der Dialogue Map genauer analysiert. Voraussetzungen und Hintergrundannahmen, die für die Entscheidung eine tragende Rolle spielen, aber oftmals nicht explizit aufgeführt werden, werden dabei ergänzt.
Im Fallbeispiel: Damit die These „Kaufprämie für E-Autos ist sinnvoll!“ sich als wahr erweist, ist es nicht nur notwendig, dass die Prämie tatsächlich zu einem steigenden Anteil von E-Autos im Straßenverkehr und somit zu einer Reduzierung des CO2-Verbrauchs führt. Geprüft werden muss darüber hinaus auch, ob andere Politikmaßnahmen die gewünschten Resultate schneller oder mit größerer Wahrscheinlichkeit herbeiführen können.
Sinnvoll sind die Prämie und der angestrebte Effekt einer Steigerung des Anteils von E-PKWs nur dann, wenn dieser Weg auch wirklich der beste Weg ist oder zumindest wenn andere Wege, die auch zum erklärten Ziel führen, damit nicht beschnitten werden. Anders ausgedrückt: Damit der Vorschlag „Kaufprämien für E-Autos!“ sich als sinnvoll erweist, müssen die Opportunitätskosten mitbedacht werden, die durch die Realisierung des Vorschlages entstehen. Lassen sich mit gleichen oder weniger Kosten andere Vorhaben realisieren, die dem gesetzten Ziel genauso gut oder besser gerecht werden, kann man nicht davon sprechen, dass die Kaufprämie sinnvoll sei.
Das Argument Mappping ermöglicht es weiterhin, eine Vielzahl von in die Diskussion eingebrachten Überlegungen als aufeinander bezogene Argumente darzustellen. .
Evidenzorientierte Recherche
Hinterfragenswürdige Annahmen und offene Fragen finden sich typischerweise am Ende der Argument-Ketten. Für jede dieser Fragen lässt sich überlegen, welche Art von Evidenz (z. B. Statistik, Laborversuch, anekdotische Beispiele) notwendig wäre, um zu einer abschließenden Einschätzung zu gelangen.
Möglich ist hier zum Beispiel zu skizzieren, wie sich die zeitliche Entwicklung quantitativ darstellen könnte – selbst dann, wenn konkrete Zahlen nicht vorliegen. Eine solche Darstellung von Szenarien könnte für das Fallbeispiel folgendermaßen aussehen:
Eine Kurve fällt erst flach und dann immer steiler ab. Sie repräsentiert die Entwicklung der CO2-Emissionen bei steigendem Anteil an E-Autos. Erst sind nur wenige E-Autos auf dem Markt, die CO2-Emissionen durch PKWs sind hoch. Aber je billiger das E-Auto wird und je mehr Stromtankstellen es gibt, desto attraktiver wird diese Technologie für die Verbraucher, so dass am Ende die Verkaufszahlen immer stärker ansteigen und am Ende ausschließlich Autos auf den Straßen sind, die mit Strom fahren, der gemäß dem Szenario aus erneuerbaren Energie ohne CO2-Emissionen erzeugt wird.
Die andere Kurve fällt zunächst stärker, um dann aber abzuflachen. Diese Kurve repräsentiert CO2-Einsparungen, die durch die Verbreitung von 2-Liter-Autos bewirkt werden können. Die Kurve dieses Szenarios legt nahe: Mit der Verbreitung des 2-Liter Autos lassen sich vergleichsweise schnell CO2-Emissionen einsparen, da es hier – anders als bei der E-Mobilität – nicht erst des Aufbaus einer speziellen Infrastruktur bedarf. Ein Endpunkt ist erreicht, wenn alle Autos auf den Straßen 2-Liter-Autos sind. Ein Basisniveau an CO2-Emissionen bleibt auch dann bestehen.
Die improvisierte Quantifizierung zeigt deutlich, welche Rolle Daten für die Entscheidung für oder gegen die Kaufprämie spielen könnten – und welche nicht. Die improvisierte Quantifizierung zeigt das Dilemma auf: Entweder mit dem E-Auto eine langsame Reduktion beginnen, die langfristig jedoch gegen Null fällt. Oder mit dem 2-Liter-Auto zu schnellen Einsparungen gelangen, die jedoch irgendwann erschöpft sein werden Je weiter aber sich der Zeithorizont erstreckt, desto ungewisser ist, ob das Vorhaben sich am Ende tatsächlich so realisieren lässt, wie geplant.
Zwischenfazit „Kaufprämie für E-Autos?“
- Als Mittel, um das erklärte politische Ziel von einer Million Elektro-PKWs bis zum Jahr 2050 zu realisieren, ist die Kaufprämie vermutlich konkurrenzlos. Jedenfalls wurden in der Diskussion keine überlegenen Alternativen präsentiert.
- Ob die negativen Umwelteffekte, die mit der Batterietechnologie einhergehen, tatsächlich stärker sind als die positiven Effekte durch die Reduzierung von CO2-Emissionen, ist eine vermutlich klärbare, aber offene Frage.
- Ob E-Mobilität wirklich für die kommenden 35 Jahre und darüber hinaus die beste Strategie ist, hängt wesentlich davon ab, welche Szenarien einer zukünftigen Technologieevolution und Marktentwicklung am Ende insgesamt am meisten überzeugen.
- In praktischer Hinsicht sind die Unsicherheiten der Zukunftsszenarien möglicherweise gar nicht entscheidend. Es wurden in der Debatte keine Gründe dafür genannt, dass die Kaufprämie (und, damit verbunden, das Ziel der Steigerung des Anteiles von E-Autos) unvereinbar wäre mit Politikmaßnahmen, die eine Steigerung des Anteils von 2-Liter-PKWs zum Ziel haben. Die Steigerung des Anteils von E-Autos und von 2-Liter-PKWs sind Strategien, die wahrscheinlich auch gleichzeitig verfolgt werden könnten (was angesichts der geschilderten Unsicherheiten vielleicht ein attraktiver Weg wäre.)
Multi-Kriterien-Analyse
Die Förderung von E-Autos und 2-Liter-Autos mögen keine einander ausschließenden Handlungsalternativen sein. Dennoch lohnt es sich, die beiden Optionen zu vergleichen, um herauszufinden, welcher der beiden Lösungswege die meiste Aufmerksamkeit erfahren sollte.
Um in Entscheidungssituationen, in denen eine Vielzahl von Kriterien eine Rolle spielt, die Lösungsfindung zu unterstützen, arbeitet Explorat mit dem Verfahren der Multi-Kriterien-Analyse (Multi-Criteria Decision Analysis). Die Multi-Kriterien-Analyse ist als Instrument vor allem in politischen Entscheidungsfindungsprozessen international seit einigen Jahren gut etabliert, lässt sich aber ebenso gut in kleineren Gruppen einsetzen. Das Verfahren arbeitet, ähnlich wie eine Kosten-/Nutzen-Betrachtung, mit der Quantifizierung von Vor- und Nachteilen. Anders als bei der Kosten-/Nutzen-Betrachtung kommen hier (a) vor allem auch subjektive Schätzwerte ins Spiel, die (b) durch Umfragen im Team gewonnen werden. Die Schätzung der Leistungsfähigkeit einer Lösung in Bezug auf einzelne Kriterien wird ergänzt durch die Gewichtung dieser Kriterien.
Für den Vergleich zwischen E-Auto und 2-Liter-Auto zeigt sich: Relevant sind nicht nur anfänglich ersichtliche Bewertungskriterien, sondern auch weitere Kriterien, die im Zuge der evidenzorientierten Recherche deutlich geworden sind. Die hier hervorgetretenen Vor- und Nachteile, die mit den Szenarien „E-Auto“ und „2-Liter-Auto“ einhergehen, könnte man unter dem Kriterium „Machbarkeitswahrscheinlichkeit“ zusammenfassen. Ein anderes Kriterium, das es zu vor allem im Hinblick auf die Überzeugungskraft von übergreifenden Szenarien einer zukünftigen Technologieentwicklung zu beachten gilt, sind Synergieeffekte. Ein Synergieeffekt wäre beispielsweise, wenn E-Autos als Batteriespeicher in einem zukünftigen Energiesystem dienen würden. So würde sich folgendes Bild ergeben:
Das 2 Liter-Auto geht hier – vorerst – als Punktsieger mit knappem Vorsprung aus der Bewertung hervor.
Eine Möglichkeit der weiteren Analyse besteht darin, die Kriterien zu Gruppen zu bündeln und zu schauen, wie die verschiedenen Optionen in Bezug auf die gebildeten Kriteriengruppen abschneiden. Meist werden hier Vorteile gebündelt den Kosten gegenübergestellt. Im vorliegenden Beispiel wurden die Kriterien „CO2 Emissionen + Synergieeffekte2 zusammengefasst sowie die Kriterien „Machbarkeitswahrscheinlichkeit + andere Umweltvorteile“.
Das Resultat: Das 2-Liter-Auto (Gesamtpunktsieger) dominiert nicht in beiden Kriteriengruppen. Es gibt Szenarien, in denen eine solche unterschiedliche Performance in Kategoriengruppen relevanter sein kann als die übergreifende Punktwertung. Ein klassischer Fall sind solche Szenarien, in denen Kosten eine Rolle spielen. Hier hat der Entscheider möglicher Weise eine Kostenobergrenze, so dass hohe Kosten nicht durch hohe Punkte in anderen Kategorien kompensiert werden können.
Sensitivitätsanalyse
Insgesamt, so zeigt die Erfahrung, ist die Multi-Kriterien-Analyse in Bezug auf die Gewichtung von Kriterien erstaunlich robust. In den meisten Fällen müssen an den Gewichtungen sehr deutliche Veränderungen vorgenommen werden bis sich an der Gesamtwertung etwas ändert. Dennoch lohnt es sich, mithilfe einer Sensitivitätsanalyse auszutesten, wie sehr Gewichtungen (oder andere angenommene Werte) verändert werden müssen, bis sich diese Änderungen auf die Gesamtwertung auswirken. Zum einen kann auf diese Weise ausgelotet werden, welchen Einfluss Meinungsunterschiede, die auf den ersten Blick relevant zu sein scheinen, tatsächlich haben. Zum anderen lässt sich mit der Sensitivitätsanalyse prüfen, inwiefern die erzielten Resultate von möglicherweise nicht verallgemeinerbaren Präferenzen der Bewerter abhängig sind. Im vorliegenden Fall zeigt die Sensitivitätsanalyse, dass sich die Gesamteinschätzung dann ändert, wenn man dem Kriterium „Verringerung der CO2-Emissionen“ mehr Wichtigkeit beimisst:
Gewichtet man den Effekt „Verringerung CO2-Emissionen“ mit 70 Punkten, dann ist das E-Auto Gesamtsieger. Diese Beobachtung könnte ein Grund sein, noch einmal in die Recherche einzusteigen, um besser abschätzen zu können, wie stark die durch die CO2-Reduktionen gewonnen Vorteile tatsächlich im Vergleich zu den anderen Beurteilungskriterien (insbesondere gegenüber den mutmaßlichen Umweltschäden durch den Einsatz von Batterien) gewichtet werden sollten.
Zusammenfassung
Eingebettet in Teamprozesse helfen die dargestellten Verfahren dabei, sich in Diskussionen besser auf eine gemeinsame Fragestellung und sachliche Argumente zu fokussieren sowie fragliche Tatsachenbehauptungen zu identifizieren. Kriterien, die für die Entscheidung relevant sind, treten deutlich zutage. In Kombination mit einer Multi-Kriterien-Analyse werden der Einfluss dieser Kriterien und die Bedeutung ihrer Gewichtung weiter präzisiert. Dabei werden auch jene Sachfragen ermittelt, die es für eine abschließende Entscheidung noch zu klären gilt.
Die vorgestellten Verfahren der Problemstrukturierung sollen dennoch die gängige Praxis der Entscheidungsfindung nicht durch eine rein regelgeleitete Methode ersetzen. Gerade die Multi-Kriterien-Analyse zeigt, dass die mittels formaler Methoden erzielten Resultate zuweilen von vorgängigen Meinungen und Intuitionen abweichen. Meistens jedoch lohnt es sich, nach den Gründen für derlei Abweichungen zu suchen – sei es, um am Ende die formale Methode anzupassen (zum Beispiel die Gewichtung von Kriterien), oder um sich von einer vorgängigen Meinung nach sorgfältiger Prüfung tatsächlich zu verabschieden. Keine auch noch so sorgfältige Entscheidungsanalyse kann beanspruchen, Entscheidungsprobleme eindeutig zu lösen. Richtig angewendet kann Entscheidungsanalyse aber wertvolle Einsichten über relevante Kriterien und Bewertungsmaßstäbe zutage fördern und die Entwicklung von Szenarien unterstützen. Flexibilität und Spiel im Entscheidungsprozess beizubehalten und zuzulassen bleibt wesentlich, damit die Analyseverfahren ihre Wirkung entfalten können und Entscheider darin unterstützen, informiertere Entscheidungen zu treffen.