„Wir brauchen eine öffentliche Debatte“

Die Forderung „Wir brauchen eine öffentliche Debatte“ begegnet einem eigentlich alle paar Tage. Dabei ist Achtung geboten: Eine Debatte kann auch zu stragegischen Zwecken heraufbeschworen werden. Ein Zweck: Zweifel säen wo eigentlich keiner ist (siehe „Wie man das Format Debatte als PR-Instrument kapert„). Ein anderer Zweck kann darin bestehen, den Gegner mit seiner zu erwartenden unscharfen Kritik ins Leere laufen zu lassen – um danach ungestört sein Ding durchzuziehen. Faire Moderation kann derlei Strategien unterlaufen.

Ein Fallbeispiel. Eine Debatte zum Thema Kopftuch, Lehrerinnen und Neutralitätsgesetz: „Darf es ein Kopftuchverbot geben?„. Eine Teilnehmerin an der Debatte, die Mitbegründerin der Initiative Liberaler Feminismus Judith Sevinc Basad, bezieht sich in ihrem Beitrag auf den Besuch einer Delegation schwedischer Frauen im Iran:

„Tausende Frauen werden jährlich von der iranischen Moralpolizei wegen Verstößen gegen die islamischen Kleidungsvorschriften schikaniert und verhaftet. Doch anstatt Präsident Hassan Rohani vor die Füße zu spucken und sich mit den iranischen Widerstandskämpferinnen von „My Stealthy Freedom“ solidarisch zu erklären, entschieden die Vertreter der „ersten feministischen Regierung der Welt“ (Eigenbeschreibung), lieber ein Kopftuch über die Haare zu ziehen und demütig zu lächeln.“

Der Vorfall im Iran gibt Anlass zu folgender Interpretation in Bezug auf die Verhältnisse in Deutschland:

„Die Angst, sich des Rassismus schuldig zu machen, sitzt tief unter den deutschen Feministen. […] Kopftuchtragende Frauen werden nicht etwa als Opfer des islamischen Patriarchats, sondern als Opfer deutscher Rassisten begriffen.“

Optinen: Entweder am Ziel vorbei oder unplausibel

Was genau ist das Argument? Die Intervention von Basad lässt sich zum Beispiel so rekonstruieren: „Es mag ja verschiedene Gründe für oder gegen eine Lockerung des Kopftuchverbotes geben. Eines jedoch trifft nicht zu: Dass das Verbot – wie von XY behauptet – eine Form von rassistischer Diskriminierung darstellt!“ – Anmerkung: Aus diesem Argument folgt nur, dass (wenn Basad mit ihrer Behauptung richtig liegt) das Rassismus-Argument, welches gegen ein Kopftuchverspricht, ungültig ist. Darüber hinaus liefert das Argument jedoch keine direkten Gründe für eine Beibehaltung des Verbotes.

Möglichkeit B: Das Argument wird als direkter Einwand gegen eine Lockerung des Kopftuchverbotes verstanden werden.Dazu muss das Argument allerdings mit Prämissen unterfüttert werden, die alles andere als selbsevident sind. Man könnte sagen (sehr überspitzt): „Ziel sollte sein, Rassismus überhaupt zu bekämpfen. Nicht nur in Deutschland, sondern überall. Je mehr Rassismus-Bekämpfung man mit einer Aktion bewirkt, umso besser. Die muslimische Männerherrschaft verhält sich muslimischen Frauen gegenüber grundsätzlich rassistisch – in vielen Ländern der Welt. Ein Symbol für dieses Verhalten ist das Kopftuch, dass den Frauen aufgezwungen wird. Um den Rassismus wirksam zu bekämpfen, muss man deshalb gerade auch das Kopftuch in Deutschland kritisieren. Nicht deshalb, weil deutsche Muslima notwendigerweise in ihre Unterdrückung einwilligen, wenn sei ein Kopftuch tragen. (Sie können dies auch ganz selbstbestimmt tun.) Dennoch ist es notwendig, dass wir von Deutschland aus ein Zeichen der Solidarität setzen, das sich an die Diskriminierungsopfer der muslimischen Männerherrschaft in anderen Ländern richtet. Wenn wir dabei in die Selbstbestimmung von Muslima in Deutschland eingreifen, nehmen wir das als Bauernopfer in Kauf.“  Anmerkung: Aus diesem Argument könnte man einen direkten Grund für das Kopftuchverbot ableiten. Aber die Prämissen des Argumentes sind, wie gesagt, nicht unbedingt einleuchtend.

Aufgabe der Moderation

Die Intervention der Feministen hat entweder keinen klaren Bezug zur Ausgangsfrage der Diskussion („Kopftuchverbot aufheben?“) oder es stellt einen solchen Bezug nur unter der Einbindung eher abenteuerlicher Prämissen her. Wie kann eine Moderation mit dieser Situation umgehen?

Zunächst: Interventionen nach Art der Feministin Basad, die nicht direkt auf die gestellte Ausgangsfrage antworten, sondern ein Seiten- oder Nebenthema aufmachen, können sehr verschieden interpretiert werden. Aus Sicht eines Kopftuch-Befürworters könnte man zum Beispiel sagen: „Gern, lass und eine öffentliche Debatte führen! Wenn dabei Bedenken geäußert werden, die mein Anliegen am Ende argumentativ überhaupt nicht angreifen, nützt mir das nur. Die Gegenseite bekommt ihren Wunsch erfüllt: Wir haben geredet. Und ich setze mein Anliegen durch.“ Man könnte aber auch sagen: Das „darüber-geredet-haben“ muss nicht gänzlich ohne Folgen bleiben. Zum einen macht es einen Unterschied, ob man – als Person oder als Kollektiv –  eine Entscheidung (hier z.B.: gegen das Kopftuchverbot) einfach nur trifft, oder ob man diese Entscheidung in Kenntnis von gegenteiligen Gründen trifft. (Im Persönlichen würde man hier davon sprechen, dass man bedauert, dass eine Handlung, die man unterm Strich befürwortet, leider auch die unerwünschten Nebenfolgen XY hat.)

Darüber hinaus stecken Diskussionsteilnehmerinnen wie Basad mit Interventionen, die die Kernfrage nicht betreffen, dennoch ein gewisses Terrain ab. Teilnehmer an öffentlichen Debatten agieren meist deutlich weniger sach- als situationsbezogen. Es geht nicht nur darum, Punkte in Bezug auf das Thema zu machen – sondern in der konkreten Diskussion gut darzustehen. Gut darstehen tut, wer ein Thema lanciert, über das anschließend viel geredet wird und somit erfolgreich die Agenda des Diskurses bestimmt.

Eine Aufgabe der Moderation könnte darin bestehen, dass bei der Orientierung an der Logik der Situation die Logik der Sache nicht zu kurz kommt. Ansonsten nämlich kommt es dazu, dass Interventionen wie die der Feministin Basad am Ende das nicht zur Maschine gehörende Rad sind, „an dem man drehen kann, ohne dass Anderes sich bewegt“. Heißt: Viel geredet, für die Sache aber egal.  Eine gelungene Moderation sollte beides im Blick behalten: Zum einen die strategischen Manöver, die die Diskutanten ausführen. Zum anderen den Blick auf die Gesamtargumentation, die sich ex post aus den Interventionen der Diskussionsteilnehmenden entwickelt oder rekonstruieren lässt. Im vorliegenen Fall würde die Aufgabe der Moderation darin bestehen, der Feministin zu helfen, klar zu artikulieren, was – wenn nicht die Entscheidung für oder gegen das Kopftuchverbot – ihr Anliegen und ihre Forderung ist, für die sich sich mit der Geschichte der schwedischen Frauendelegation stark macht.

Fazit:

Eine „öffentliche Diskussion“ ist keine Problemlösungsveranstaltung. Öffentliche Diskussionen sind (auch) Auseinandersetzungen darüber, welche Themen auf die Agenda kommen sollen. Die Argumente, die in einer öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen, sind deshalb – anders als in einem Problemlösungsprozess – nicht nur solche Argumente, die zwingend für oder gegen einen bestimmten Lösungsvorschlag sprechen. Gute Moderation in öffentlichen Diskussionen zeichnet sich dadurch aus, mit solcher Art Argumenten fair umzugehen.