Wie man das Format „Debatte“ als PR-Instrument kapert

Eine gelungene Debatte bildet die Vielfalt von Standpunkten ab. Im Idealfall bietet sie einen gut strukturierten Überblick zu den wichtigsten Argumenten. Klingt nach Wahrheitsfindung und Demokratie. Tatsächlich kann aber auch genau das Gegenteil davon herauskommen.

Die Vielfalt der Standpunkte abzubilden und einen Überblick zu den wichtigsten Argumenten zu bieten ist auch die Intention von Causa, dem Debattenportal des Tagesspiegels. Vor kurzem hat Causa eine kleine Schwester bekommen mit dem Namen Open Debate. Open Debate ist „die neue Diskussionsplattform des Tagesspiegel-Verlags für Institutionen, Organisationen und alle anderen, die ihre Debatten öffentlich und nachhaltig zugänglich machen wollen.“ Mit anderen Worten: Open Debate ist ein Advertorial.

Bislang finden sich zwei Debatten auf Open Debate: einmal eine von der Leibniz-Gemeinschaft gesponsorte Debatte zur Frage „Braucht Forschung Tierversuche“. Dann eine Debatte mit dem Titel „Kennen Sie Ihre Kalorienbilanz?“. Der Absender: die Zucker- und Süßwarenindustrie.

Tierversuche sind umstritten.Versuche gehen mit Leid für Tier einher. Die Beweislast, dass Tierversuche in der wissenschaftlichen Forschung tatsächlich nötig sind, liegt somit bei den Befürwortern von Tierversuchen. „Braucht die Forschung Tierversuche?“ ist eine echte Debatte. Anders verhält es sich beim Thema Zucker. Dass der Konsum von Zucker zu Übergewicht und Fettleibigkeit führt, ist in der wissenschaftlichen Forschung so gut wie nicht umstritten. (Wer sich einen ersten Eindruck verschaffen möchte, braucht lediglich eine Suchmaschinenabfrage nach Stichwortkombinationen wie „sugar, obesity, health, meta-analysis“ oder „consumption softdrinks weight review“ zu starten.) Dennoch versucht die Zuckerindustrie den Eindruck zu erwecken, dass es eine „Debatte“ darüber gäbe, ob Zucker dick macht. Das Hauptargument: nicht Zucker, sondern Kalorien und Bewegungsmangel machen dick. Mit anderen Worten: auf die Mischung kommt es an. Nichts genaues weiß man nicht.

Klimawandel-Skeptiker machen es vor

Dass eine solche Strategie aufgehen kann, zeigt die Diskussion um den Klimawandel. Obwohl der menschenverursachte Klimawandel von der Wissenschaft so gut wie einhellig als Tatsache anerkannt wird, haben einige wenige Skeptiker es geschafft, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass es sich um eine offene Frage handele. Geholfen haben ihnen dabei die Publikumsmedien. Sie haben mit der Absicht, Meinungsvielfalt zu unterstützen, dazu beigetragen, dass der Eindruck entsteht, es gäbe eine „Debatte“ über den Klimawandel. Die Zuckerwandel setzt auf die gleiche Strategie, um die in politischen Diskussion befindliche ‚Zuckersteuer‘ abzuwehren.

Dass die Autoren der Zucker-Debatte keine Meinungsvielfalt abbilden sondern, mehr oder weniger, in die von der Zuckerwirtschaft ausgerufene Marschrichtung marschieren – geschenkt!  Was sauer aufstößt, ist etwas anderes: Das Tagesspiegel-Format „Open Debate“ stellt der Zuckerwirtschaft nicht nur eine Bühne (so wie eine gewöhnliche Anzeige oder ein Advertorial). Vermietet wird schließlich nicht nur ein leere Seite, sondern zugleich auch das vom Tagesspiegel entwickelte Debattenformat „Causa“. Wenn ich die Leibniz-Gesellschaft wäre, die – in redlicher Absicht – sich der Debatte um Sinn und Nutzen von Tierversuchen in der Wissenschaft stellt und dazu Tagesspiegel-Online-Seiten auf „Open Debate“ bucht – ich glaube, ich wäre wenig begeistert, wenn direkt neben mir eine Debatte stände, die in gezielt manipulatorischer Absicht versucht, nicht nur mit Inhalten und Argumenten zu werben, sondern das Format „Debatte“ für ihre Zwecke kapert.

Die Lektion: Wer als Veranstalter von Debatten auftritt, hat so etwas wie eine Verantwortung dafür, dass es sich bei den Debattenthemen um echte Streitfragen handelt und nicht Versuche, Verwirrung zu stiften. Wer als Gastgeber von Bezahl-Debatten in dieser Sache völlig ungeniert ageirt, der riskiert den Verlust seiner Glaubwürdigkeit auch in anderen Kontexten.

 

 

 

 

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